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In Seite Philosophische Praxis:

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Die Philosophie in Europa nahm ihren Ausgang im antiken Griechenland. Damals stellte sie meist eine Art von avantgardistischer Strömung innerhalb eines nicht immer ganz stabilen Weltbildes dar.

Philosophie bemühte sich einerseits um eine Neuformulierung theoretischer Rahmenkonzepte für gesellschaftliches Zusammenleben. Sie war aber keineswegs bloß eine theoretische Auseinandersetzung, sondern eigentliche Schulung in Lebensstil, Einübung in eine gute Lebensführung. Gutes Leben im antiken, griechischen Verständnis wie auch bei Konfuzius in China bedeutete Streben nach einer Übereinstimmung (Harmonie) mit dem Weltganzen und der Weltvernunft (dem Logos). Philosophie war somit Theorie und Praxis des guten Lebens. Philosophiert wurde in meist mehr oder weniger elitären Zirkeln (Platons Akademie, Aristoteles Lykeion, Epikurs Kepos, Zenon von Kitions Stoa). Philosophie als Organisation hatte in gewisser Weise damals im alten Griechenland die Gestalt und Funktion einer Art Seelenführung, sie war Geistige Übung.[1]

Seit dem 2. Jahrhundert begann sich diese Aufgabe der Seelenführung und Übung in die Gemeinschaften des noch jungen Christentums zu verlagern. Die christliche Lehre übernahm mehr und mehr die Rolle der „wahren Philosophie“. Sie verstand sich als dem wahren göttlichen Logos verpflichtet. Nach dem Vorbild der antiken Philosophenzirkel waren geistliche Übungen zentrales Element im Tagesablauf vieler christlicher Klostergemeinschaften. Philosophie wurde dadurch im christlich-klösterlichen Umfeld zum Inbegriff von Seelsorge. Sie war Lebensschulung und Geistesübung im Sinn von gelebter Weisheit als Religiosität.

Mit der Bildung der ersten Universitäten im Mittelalter vollzog sich die Abspaltung der Philosophie von Belangen des praktischen Lebens: sie beschränkte sich zunehmend auf die Erörterung rein theoretischer Zusammenhänge. Schließlich galt Philosophie bloß noch als Vorbereitung auf das Theologiestudium und wurde so degradiert zur „Magd der Theologie“. Damit war Philosophie endgültig nicht mehr Lebensform, sondern abstrakter, theoretischer Diskurs. Die Aspekte von Übung und Lebensgestaltung wurden vollständig von der klösterlichen Praxis übernommen. Philosophie als Universitätsdisziplin wurde so zum elitären Spezialistendiskurs.

Mit der Renaissance und dem Rationalismus erfolgt zum Teil eine Befreiung aus diesem Korsett. Eine Rückgewinnung von Lebensnähe ist jedoch damit noch keineswegs erreicht.

Seit Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich eine Zunahme von schöpferischer Dynamik auch innerhalb universitärer Kreise verzeichnen (Kant, Vertreter des deutschen Idealismus wie Fichte, Schelling, Hegel). Außeruniversitär und als Kontrapunkt zur Schulmeinung vor allem des deutschen Idealismus formulierten unter anderen Kierkegaard, Schopenhauer und Nietzsche ihre Thesen, die sich als Vorläufertheorien der wesentlichen philosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts (Phänomenologie und Existenzphilosophie) lesen lassen und deren Bewegung schließlich in die postmoderne Konstruktion von Spezialdiskursen mündet (Derrida, Deleuze, Guattari, Lyotard u. a.).

Der Abstraktionsprozess hat sich bis in das 21. Jahrhundert durchgezogen. Für Philosophie und Lebenskunst ist nun vor allem von Bedeutung, dass inzwischen auch die ethische Diskussion, das heißt die philosophische Reflexion auf die Voraussetzungen und Möglichkeiten eines guten und gerechten Lebens und Zusammenlebens, in einer Sackgasse steckt. Die theoretischen Bemühungen verlieren sich im Formulieren allgemeiner Prinzipien, die in ihrer Allgemeinheit nicht mehr auf eine Lebenspraxis anwendbar sind. Ethik ohne Anwendung aber ist reines Gedankenspiel, das die Öffentlichkeit zu ratlosem Zuschauen verurteilt. Die professionelle Ethik versucht dieses Anwendungsproblem durch die Ausformulierung sogenannter Bereichsethiken zu lösen (z. B. Ökoethik, Medizinalethik, Tierethik, Rechtsethik, Verkaufsethik…). Eine wirkliche Anwendung ethischer Fragestellungen ist jedoch kaum auf rein kognitiver (gedanklicher) Basis, sondern nur auf dem Weg des persönlichen Erlebens unter Einbezug individueller Gefühlsaspekte zu erreichen. Dies aber setzt das persönliche Gespräch zwischen real präsenten Gesprächspartnern voraus. In Hans Krämers Worten: „Wenn […] Ethik praktisch werden soll, […] dann ist das philosophische Beratungsgespräch unverzichtbar“.[2] Hier ist ein anderer Umgang mit philosophischem Fragen und Wissen gefordert. Dies nicht nur, um die Philosophie aus ihrem Elfenbeinturm zu erretten, sondern um philosophisches Wissen wieder zugänglich zu machen für individuelle und gesellschaftliche Belange.

Den Begriff Philosophische Praxis hat Gerd B. Achenbach eingeführt. Dabei ging er von der Beobachtung aus, dass die universitäre Philosophie ihre Philosopheme nicht am Alltag messe und die Psychologie ein Theoriedefizit aufweise. Bald darauf, 1985, fand die erste Konferenz zur Philosophischen Praxis statt. Der 'Erfinder' dieses Begriffs verstand unter Philosophischer Praxis eine philosophische Lebensberatung; mittlerweile haben sich die Konzepte Philosophischer Praxen ausdifferenziert. Philosophische Praxen existieren inzwischen weltweit. Vor allem in skandinavischen Ländern, aber auch in der Schweiz, in Österreich, England, Israel, den USA, in Holland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal oder Mexiko erfreuen sich Philosophische Praxen eines regen Zulaufs. Das Aufgabenfeld der Philosophischen Praxis besteht in der Organisation und Pflege philosophischer Gespräche als vielfältige, zum Teil neue Formen der Verständigung, Klärung und Sinnfindung.