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In Seite Rekonstruktion (Architektur):
"Es gibt verschiedene Vorgehensweisen bei der Rekonstruktion, die sich im Grad der Originaltreue und in der Sensibilität zur Umsetzung unterscheiden. Georg Mörsch bezeichnet in der Architektur die Rekonstruktion als eine „wissenschaftliche Methode der Quellenausbeute zur Neuherstellung untergegangener Dinge, unabhängig von der Zeit, die seither verstrichen ist“.[1]
- Originalgetreue Rekonstruktion des Bauwerks wird nach aufwendiger Quellenforschung möglichst mit denselben Materialien und denselben Methoden durchgeführt. Oft werden noch vorhandene Originalbauteile verwendet. Diese Art der Rekonstruktion findet sich vor allem bei kulturhistorisch bedeutenden Bauwerken, die dann als Anschauungsobjekt dienen und museal genutzt werden. Ein frühes Beispiel ist der Wiederaufbau von Querschiff, Vierung und Chor der Abteikirche Altenberg Mitte des 19. Jahrhunderts, wo ein eingestürzter Bau wieder errichtet wurde; bei den Vollendungen der Dome, etwa dem Kölner Dom, ging man nach den erhaltenen, jedoch nie vollendeten Bauplänen vor.[2] Die ostpreußische Marienburg (Ordensburg) wurde gleich zweimal wieder aufgebaut, 1896 bis 1918 unter Restaurierung mittelalterlicher Substanz und nach der 60%igen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg teils rekonstruierend. Bei der Anastilosis wird ein historisches Bauwerk unter Verwendung seiner original erhaltenen, jedoch zerfallenen Bauteile wieder aufgerichtet, die mit einem neuen Tragwerk versehen werden.
- Nachempfundene Rekonstruktion nennt man eine Rekonstruktion, die aufgrund mangelnder Quellenlage den Anforderungen an Originaltreue nicht genügt. Typische Beispiele sind etwa, wenn von Gebäuden nur noch Fassadenpläne oder Bilddokumentation erhalten sind – der Rest der nötigen Information wird durch Vergleich mit ähnlichen zeitgenössischen Objekten so gut wie möglich „neu erfunden“. Diese Art des „neuschaffenden“ Wiederaufbaus, verbunden mit viel Phantasie, hatte vor allem im Historismus (mit Neoromanik, Neugotik, Neorenaissance und Neobarock) ihre Hochblüte. Als aus den Überresten mittelalterlicher Burgen neugotische Schlösser geschaffen wurden, wie etwa Schloss Hohenschwangau bis 1837 durch Domenico Quaglio[2], Schloss Lichtenstein (Württemberg) ab 1840 nach Plänen Carl Alexander Heideloffs, Schloss Stolzenfels bis 1842 von Schinkel und Stüler, die Burg Hohenzollern (1850–1867 durch Stüler), die Reichsburg Cochem 1870–1890 durch Hermann Ende und Julius Carl Raschdorff oder im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die zahlreichen Burgenrekonstruktionen von Bodo Ebhardt. Von kompletten Neubauten wie Neuschwanstein oder Schloss Marienburg unterscheiden sie sich durch die Einbeziehung vorhandener Grundmauern und aufstehender Bauteile, die teilweise Einhaltung historischer Grundrisse sowie die Anlehnung an ältere Abbildungen.
- Replikative Rekonstruktion nennt man eine Rekonstruktion, die formal aus funktionalistischen Gründen der Nachahmung (nicht: Interpretation), der Wahrung oder Herstellung eines (historisierten) Scheins dient, zumeist mit veränderter Nutzung (Beispiel: zu DDR-Zeiten errichtetes Nikolaiviertel in Berlin). Sie hat mit dem Ursprungs- bzw. Altgebäude nichts mehr zu tun. Ihre Wurzeln finden sich im Neuen Urbanismus. Seine Zielvorstellung ist es, Orte zu bauen, die „das Leben bereichern und den Geist inspirieren“, wobei es ihm nicht um repräsentative Prachtbauten, sondern um Wohn- und Alltagsgebäude geht.[2]
- Interpretierende Rekonstruktion fertigt einen auf der Grundlage der historischen Quellen gemachten neuen Entwurf. Es entstehen Gebäude oder Gebäudeteile, die dem Charakter und Gesamteindruck des Originals entsprechen, ohne den Versuch einer eins-zu-eins-Kopie. Beispiele sind der Prinzipalmarkt in Münster oder die Ergänzungen am Frankfurter Römer. Fassaden und Ziergiebel der Häuser wurden teils neu entworfen, der Gesamteindruck des Marktes sollte jedoch erhalten bleiben. Diese Methode leitet sich aus der Neutralretusche der modernen Restaurierung ab. Die Fehlstellen des Originals sollen auf den ersten Blick so gut wie möglich übersehen werden, dem danach suchenden Auge aber sofort als ergänzt auffallen. Damit ist die Forderung der Wiederherstellung des Gesamteindrucks erfüllt, ohne den Verdacht des (als unzulässige Fälschung geltenden) Replikats aufkommen zu lassen.
- Didaktische Rekonstruktionen: Im Zusammenhang mit der Entwicklung archäologischer Grabungsstätten zu sogenannten Themenparks (Archäologischer Park) kommt es in den letzten Jahrzehnten immer häufiger zu Rekonstruktionen markanter antiker Bauwerke wie Stadtmauern, Stadttore, Tempel, Villen oder Kastellen[2] (etwa am Obergermanisch-Raetischen Limes), germanischer Siedlungen wie am Opfermoor Niederdorla oder mittelalterlicher Wehranlagen wie der Bachritterburg Kanzach, der Turmhügelburg Lütjenburg, der Slawenburg Raddusch, dem Slawendorf Groß Raden, dem Steinzeitdorf Kussow, dem Ukranenland oder von Siedlungen wie dem Bajuwarenhof Kirchheim.
- Experimentelle Nachbauten sind ein Teilaspekt der Experimentellen Archäologie.[2] In Guédelon wird seit 1997 eine Ritterburg ausschließlich mit den Techniken und Materialien des 13. Jahrhunderts erbaut, um Bauweise und -dauer zu erforschen. In Meßkirch gibt es mit dem Campus Galli ein Projekt zur Konstruktion einer mittelalterlichen Klosterstadt nach dem Vorbild des St. Galler Klosterplans. Es handelt sich um vormals nicht vorhandene Bauten, im Vordergrund steht der Forschungsaspekt.
In der Dresdener Inneren Altstadt wurden die verschiedenen Rekonstruktionsverfahren gemischt angewandt: Schon in den Nachkriegsjahrzehnten wurden einzelne Bauwerke, deren Ruinen überdauert hatten, unter der Leitung des Denkmalpflegers Hans Nadler wieder aufgebaut, etliche andere im Ruinenzustand gesichert und über Jahrzehnte gegen alle Abrisspläne verteidigt. Nach der Wende und friedlichen Revolution in der DDR und der deutschen Wiedervereinigung wurden nicht nur einzelne Gebäude rekonstruiert, allen voran die Frauenkirche, oder aus Ruinen wieder aufgebaut, wie das Dresdner Residenzschloss, sondern nach Warschauer Vorbild ganze Plätze und Straßenzüge, so weitgehend der Neumarkt, die Rampische Straße und die Landhausstraße. Dabei wurden einzelne Fassaden originalgetreu, andere nachempfunden, replikativ oder interpretierend wiedererrichtet. Beim Residenzschloss geschah alles zugleich: Die Fassaden im Großen Schlosshof wurden in Sgraffitotechnik bemalt, nach Kupferstichen der Bemalung durch die Gebrüder Gabriel und Benedetto Tola von 1556, womit jedoch nicht der letzte vorhandene Zustand wiederhergestellt wurde, sondern ein längst verlorener, denn die Sgraffito-Bemalung war bereits in der Barockzeit verschwunden. Deren Rekonstruktion ist daher sowohl originalgetreu, weil die Mauern noch größtenteils die originalen sind und die historische Maltechnik angewandt wurde, als auch nachempfindend, weil weder Überreste der Bemalung noch Fotografien vorhanden waren und die Rekonstruktion nach Kupferstichen nachempfunden werden musste; zugleich ist sie didaktisch, da sie den Bauzustand der Renaissancezeit zeigt und weil es derart großflächige Renaissance-Sgraffiti nirgends mehr gibt. Und schließlich ist diese Fassade relativ unumstritten, weil sie unbestreitbar prächtig ist.
Doch selbst wenn ein Gebäude weitgehend originalgetreu wieder entsteht: Baurechtlich kommt eine Rekonstruktion einem Neubau gleich und ist daher im Allgemeinen noch kein Baudenkmal im Sinne des Denkmalschutzes. Rekonstruktionen können dennoch in den Denkmalschutz aufgenommen und sogar zu herausragenden Baudenkmälern ernannt werden, wie die Bauten der Warschauer Altstadt, die seit 1980 zum UNESCO-Welterbe gehören, oder die wiederaufgebaute Würzburger Residenz, die 1981 in die Welterbeliste aufgenommen wurde.
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