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In Seite Friedrich Dieckmann:

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Friedrich Dieckmann ist Verfasser von Essays, Kritiken, Erzählungen, Gedichten und Radio-Features.[1]

Dieckmanns Brecht-Forschungen setzten mit seinen Stückanalysen in dem Buch „Karl von Appens Bühnenbilder“ (1971) ein, dessen Erscheinen die Genehmigungsinstanzen um zwei Jahre verzögerten; in späteren Interpretationen, gesammelt in dem Band „Wer war Brecht?“ (2003), verwies er auf die zentrale Bedeutung des Verratsmotivs in Brechts dramatischem Schaffen von „Trommeln in der Nacht“ an und führte Grundkonstellationen des antiaristotelischen Theaters von den Lehrstücken der zwanziger Jahre bis zu „Galilei“ und dem „Kaukasischen Kreidekreis“ auf Motive des spätmittelalterlichen Mysterienspiels zurück, dessen Elemente im schwäbisch-bayerischen Kirchenraum bis weit ins 20. Jahrhundert überdauert hatten.

In dem Essay „Die Glockenkurve und Aladins Wunderlampe“ (1981) veranschaulichte er die Akkumulationsdifferenz zwischen künstlerischen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen im Bild mathematischer Funktionen und vertiefte die Aspekte in „Wege zum Sonnenstaat / Der antiapokalyptische Punkt“ (1999) und in dem Vortrag „Geschichte im Modellversuch“ (Nova Acta Leopoldina, 2012).

Aspekte der Anwendung physikalischer Kategorien auf soziale Entwicklungen führten in dem Aufsatz „Die thermische Differenz“ (1993) zur Beschreibung der sog. Wende als gesellschaftlichen Verflüssigungsprozess durch rapide Energiezufuhr sowohl in einem metaphorischen wie kinetisch-konkreten Sinn.

Dieckmanns Arbeiten erschienen seit 1965 in Sinn und Form, später auch in Neue Deutsche Literatur, Neue Deutsche Hefte und Merkur; in der Edition suhrkamp erschienen von ihm in zwölf Jahren vier Essaybände zum Prozess der deutschen Vereinigung: „Glockenläuten und offene Fragen“, „Vom Einbringen“, „Temperatursprung“, „Was ist deutsch?“.

In den Debatten der neunziger Jahre wollte er den Begriff der Identität in Bezug auf deutsche Nationalität durch den der Eigenart ersetzt wissen und zählte Vielfalt zu deren Elementen; zugleich verwies er auf die Herkunft des Nationbegriffs aus den revolutionären Bewegungen seit 1789 und seine Unverzichtbarkeit für sozialkulturellen Zusammenhalt.

Die Geschichtsinterpretation seines eingehenden Essays zu Thomas Manns Tagebüchern 1932/33 (Sinn und Form 1981) war auf den erbitterten Widerstand orthodoxer SED-Historiker gestoßen; in Buchform konnte sie mit andern Arbeiten erst 1990 in der Leipziger Gustav Kiepenheuer Bücherei erscheinen. Aspekte deutscher Nachkriegsgeschichte, insbesondere zu den Hintergründen des 17. Juni 1953, entfaltet der Band „Deutsche Daten oder Der lange Weg zum Frieden“ (2009).

Dieckmanns Untersuchungen zur deutschen Oper enthält der Band „Gespaltene Welt und ein liebendes Paar / Oper als Gleichnis“ (1999); sie konzentrieren sich auf Mozart, Beethoven, Wagner und Schubert, zu dessen „Fierrabras“ er einen neuen Dialogtext schrieb. Seine Dialogneufassung zu Beethovens „Fidelio“ hatte 1970 zu einem ministeriellen Aufführungsverbot geführt.

In dem Buch „Die Geschichte Don Giovannis“ (1991) ging Dieckmann der Vorgeschichte von Mozarts und da Pontes Oper bis zu Tirso de Molina, Molière, Gluck und Bertati nach. In Opposition zu Wolfgang Hildesheimers stark verengtem Mozart-Bild analysierte er die prononciert gesellschaftspolitische Bedeutung der „Zauberflöte“ mit allen andern Implikationen des Werks. Den psychodramatischen Schlüssel zu Richard Wagners musikdramatischem Werk fand D. in dessen intensiver seelischen Beziehung zu seiner zehn Jahre älteren Schwester Rosalie, deren früher Tod den Tragiker in ihm weckte („Rosalie oder Das Liebesverbot“): das Inzestverbot als unter- oder vordergründiges Hauptmotiv vieler seiner Werke.

In Dieckmanns biographischen Texten zu Wagner („Richard Wagner in Venedig“, 1983), Schubert (1996) und Schiller (zwei Bände 2005 und 2009) verband der Autor die Werkverankerung in den gesellschaftlichen und politischen Konflikten ihrer Zeit mit der Aufklärung psychisch-individueller Konstellationen, für die Peter von Matt den fruchtbaren Begriff des Psychodramatischen eingeführt hat.

Alle diese Arbeiten hatten den Charakter von Dokumentarerzählungen mit reichem Zitatanteil. Nur einmal, im Blick auf die Entstehung der „Zauberflöte“, hat Dieckmann rein erzählerische Mittel angewandt („Orpheus, eingeweiht“, 1983); in dem zweiten seiner Schiller-Bände verbanden sich beide Darstellungsweisen.

Als Architekturkritiker trat Dieckmann Anfang der neunziger Jahre hervor; Bausenator Hassemer berief ihn in das neugegründete Berliner Stadtforum. Seine Kommentare zu Bausituation und Bauvorhaben in der neuen Bundeshauptstadt („Wege durch Mitte“, 1995) führten zur Berufung in die Jury des Wettbewerbs zum Bundespräsidialamt und in die Expertenkommission zur historischen Mitte Berlin, in der er mit theoretischer Fundierung für die Erneuerung von Baukörper und Barockfassaden des untergegangenen Schlosses eintrat. Erfahrungen aus dieser Arbeit und seinem früheren langjährigen publizistischen Einsatz für den Wiederaufbau des Opernhauses und der Frauenkirche in Dresden sind in dem Buch „Vom Schloß der Könige zum Forum der Republik / Zum Problem der architektonischen Wiederaufführung“ (2015) niedergelegt.

„Die Energien des unermüdlichen Essayisten Friedrich Dieckmann sind aus den Traditionen des bürgerlichen Kulturprotestantismus hervorgewachsen, die Reformation ist in seinen Schriften allgegenwärtig.“[2] Seit 1965 publiziert er ohne Unterbrechung in der Literaturzeitschrift Sinn und Form, in der er mit rund 100 Beiträgen (Stand 2023), davon die meisten Essays, so stark vertreten ist wie kaum ein anderer Beiträger der Zeitschrift. Ende 2016 haben zwei Redakteure von Sinn und Form mit ihm ein ausführliches Gespräch über Literatur und Kultur in Ost und West geführt, in dem er über seine Entscheidung für einen Weg als freier Schriftsteller sagte: „Es war ein schneller, harter, jäher Entschluß (...). Es war der Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit.“[3]