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In Seite Jungtürken:

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Im November 1914 war das Osmanische Reich auf Seiten der von Deutschland geführten Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg gegen die von Großbritannien, Frankreich und Russland geführten Entente-Mächte eingetreten. Nach schweren militärischen Niederlagen der Osmanen bezichtigte die jungtürkische Führung 1915 die christlichen Minderheiten, vor allem die Armenier, der Unterstützung des christlichen Kriegsgegners Russland und des Hochverrats am Osmanischen Reich. Man warf den Armeniern Spionage für den Feind und die Vorbereitung von Aufständen vor. Dies traf möglicherweise auf kleine politische Gruppen zu, entbehrte aber als Kollektivvorwurf gegen das ganze armenische Volke jeder Grundlage. Vor diesem Hintergrund setzte die von der Organisation İttihat ve Terakki Cemiyeti gebildete osmanische Regierung 1915 den Völkermord an den Armeniern in Gang. Bei Deportationen in die syrische Wüste bei Deir ez-Zor kam bis 1916 der Großteil der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reichs durch Verdursten, Hunger, Krankheiten und Mord um. Wissenschaftlich diskutiert wird, ob die Jungtürken von Anfang an einen Genozidplan verfolgten oder ob ihre antiarmenische Politik im Laufe des Jahres 1915 verschiedene Eskalationsphasen durchlief, die zum Völkermord führten. Letztlich scheint es der jungtürkischen Führung um einen Präventivschlag gegen künftige Probleme mit den christlichen Minderheiten gegangen zu sein.

Als kriegsbedingte Maßnahmen getarnt und gerechtfertigt, wurden ab April 1915 Hunderttausende gewaltsam aus ihren Wohnorten vertrieben und in weit entlegene Provinzen deportiert – mehrheitlich in den Norden des heutigen Syrien. Von Anfang an wurden diese Deportationen von Mordaktionen begleitet – zunächst durch frühzeitige Massentötung verhafteter Volksgruppen-Führer und Intellektueller, später durch systematische Erschießung aller zum Wehrdienst eingezogenen, dann aber bald entwaffneten und in Arbeitsbataillonen zusammengefassten männlichen Armenier. Die wehrlosen Frauen, Kinder und Alten hingegen wurden auf lange Fußmärsche unter größten Entbehrungen geschickt, wo sie den Strapazen erlagen, aber auch immer wieder Opfer von Gewalttaten der Begleittruppen oder angreifender Kurden wurden. Die Schutzbehauptung, Todesopfer habe es nur durch unglückliche Begleitumstände der Deportationen gegeben, trifft also nicht zu. Bereits Cemal Pascha, einer der Verantwortlichen, gestand im Exil ein, die Opfer seien „teils getötet“ worden, „teils unterwegs durch Hunger und Elend umgekommen“. Vergewaltigungen und Raub von Frauen oder Kindern waren grausame Begleiterscheinungen, retteten allerdings den Entführten unter der Bedingung ihrer Islamisierung häufiger das Leben.

Der Großwesir und Innenminister des Osmanischen Reichs Talaat Pascha organisierte offiziell lediglich Deportationen. Formell gab es Anordnungen, die Deportierten zu schützen und zu versorgen. Inoffiziell jedoch organisierte der Minister eine mordbereite jungtürkische Parteimiliz und setzte möglichst fanatische Provinzbeamte in wichtige Positionen ein (und gleichzeitig zu „gemäßigte“ und „humane“ Beamte gezielt ab), um die weitgehende Vernichtung der Armenier zu erreichen. Als Oberbefehlshaber im Internierungsgebiet Syrien versuchte Cemal Pascha offenbar, die dort eintreffenden Überlebenden möglichst zu schützen; doch auch hier gab es offensichtlich doppelte Befehlsstrukturen, die diese offizielle Politik wieder konterkarierten.

Der armenische Patriarch in Istanbul teilte der deutschen Botschaft mit, dass in den von Deportationen betroffenen Provinzen etwa 1,2 Millionen Armenier lebten. Der Großteil dieser Menschen konnte nicht fliehen und wurde daher Opfer der systematischen Vertreibungen und Mordaktionen. Hingegen wurden die 80.000 armenischen Einwohner Istanbuls – vermutlich mit Rücksicht auf die dort besonders präsente internationale Diplomatie – nicht deportiert, lediglich etliche ihrer Führer wurden verhaftet und später ermordet.

Die Zahl der Todesopfer ist bis heute umstritten. Berichte deutscher Diplomaten hielten Schätzungen von 800.000 bis 1 Million Toten für nicht übertrieben. Dies deckt sich mit der Schätzung des US-Botschafters Henry Morgenthau senior, der 600.000 bis 1 Million Opfer vermutete. Der frühere jungtürkische Minister Cemal Pascha, trotz seiner humanitären Interventionsversuche als Mitglied der Ittihad-Führung ein Hauptverantwortlicher für den Genozid, äußerte im deutschen Exil die niedrigere Schätzung von 600.000 armenischen Opfern, die er zudem mit gleichzeitigen türkischen Opfern armenischer Gegenschläge zwischen 1915 und 1920 verrechnet sehen wollte. Der spätere türkische Präsident Mustafa Kemal Atatürk ging 1920 einem amerikanischen Diplomaten gegenüber von 800.000 armenischen Toten aus.

Das Morden beschränkte sich – anders als in vielen Darstellungen – nicht auf die zweifellos schlimmsten Jahre 1915/16. Auch in den syrischen Internierungslagern starben später noch zahlreiche Deportierte. In Ostanatolien führten wechselnde Kriegserfolge der Osmanen und der Russen zu weiteren Massakern: 1916/17 marschierten mit den siegreichen Russen armenische Hilfstruppen gen Westen, die an muslimischen Bewohnern „Vergeltung“ für das Schicksal ihrer armenischen Landsleute übten. 1917/18 rückten nach dem Zusammenbruch des Russischen Kaiserreiches die Osmanen wieder nach Osten vor und übten ihrerseits „Vergeltung“ an Christen. Noch im Sommer 1918 kam es bei der osmanischen Besetzung von Aserbaidschan in der Hauptstadt Baku zu muslimischen Massakern an Armeniern. Zwischen 1918 und 1921 versuchten wiederum die Armenier einen eigenen Staat zu errichten und vertrieben oder massakrierten muslimische Minderheiten, bevor Atatürks Truppen 1920/21 einen Großteil Ostanatoliens eroberten und „Wiedervergeltung“ an Armeniern übten. Diese Mischung aus Krieg und Bürgerkrieg hielt in Kleinasien und im Kaukasus bis weit in die 1920er Jahre an.