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In Seite Intergeschlechtlichkeit:

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Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist bekannt, dass Menschen praktisch niemals Zwitter sind.[1] Laut medizinischer Definition von Hugh H. Young ist für Zwitter der mikroskopische Nachweis von sowohl Eierstockgewebe als auch Hodengewebe im selben Körper erforderlich.[2] Bis 1959 wurden aber nur 90 solcher Fälle in der wissenschaftlichen Literatur gezählt.[3] Gängig war damals die Bezeichnung Pseudohermaphrodit („Scheinzwitter“). Goldschmidt sah 1916 in der Vorsilbe Schein- ein Vorurteil, weshalb er den neutraleren Begriff „Intersexualität“ schuf.[4] Goldschmidt teilte die Auffassung von Magnus Hirschfeld, dass „atypische Sexualität“ biologisch begründet sei.[5]

Daneben bestand und besteht die Annahme, dass es im Interesse des intergeschlechtlichen Menschen liege, seinen Körper einem „wirklichen“ Geschlecht anzupassen; begründet wird das meist mit der geschlechtlichen Zuordnung sowie sonst fehlender sozialer Akzeptanz. In der Praxis wird eine Geschlechtsfestlegung auch in vielen Alltagssituationen (Formulare für Geschäftsabschlüsse, Mitgliedschaften usw.) oder aus bürokratischen Gründen gefordert (Personenstand, manifestiert etwa in Ausweisen). Aufgrund der von ihnen befürworteten Geschlechtsfestlegung üben auch Eltern auf ihre intergeschlechtlichen Kinder in der Regel bewusst besonders starken Druck aus, sich dem zugewiesenen Geschlecht entsprechend zu verhalten. Die Diagnosen der häufigen medizinischen Untersuchungen werden den Kindern oft routinemäßig verschwiegen, aus Schamgründen zum Teil bis ins Erwachsenenalter hinein.

Viele intergeschlechtliche Menschen, Transmenschen sowie einige kritische Wissenschaftler argumentieren hingegen, dass die Vorstellung von genau zwei sauber unterscheidbaren Geschlechtern (siehe Heteronormativität) falsch sei. Sie sind der Ansicht, dass die Festlegung auf eines der beiden gegenpoligen Geschlechter oft zweifelhaft sei und zu starken physischen und psychischen Beeinträchtigungen führen könne. In der Regel handele es sich bei einer Festlegung um einen durch sozialen Druck entstandenen Wunsch des Umfeldes und nicht um ein Bedürfnis der Betroffenen selbst. Die entsprechenden pädagogischen Maßnahmen werden abgelehnt, da sie bei den Kindern zu unmäßigem Druck führten und durch das Verschweigen der Hintergründe die psychische Verwirrung noch verstärkten.

Kritisiert wird vom intergeschlechtlichen Standpunkt aus auch die Theorie des Sexualwissenschaftlers John Money von 1955, dass Menschen mit einem ‚angeborenen Defekt der Genitalien‘ (birth-defective genitals) die soziale Rolle annehmen würden, die ihnen zugewiesen wird. Zur Differenzierung gegenüber Sex für die Einstufung anhand der körperlichen Ausbildung der Genitale prägte Money den Begriff Gender.[6] Die Geschlechtsfeststellung, eigentlich eine willkürliche Genderfestlegung, wurde sogar in Fachliteratur zum medizinischen Notfall (clinical emergency) erklärt.[7] Da die entsprechenden medizinischen Eingriffe oft im Säuglings- und Kleinkindalter vorgenommen wurden, werde der für die Betreffenden wichtigste Faktor, nämlich ihr psychosoziales „Identitätsgeschlecht“, nicht berücksichtigt. Stattdessen reiche die Entscheidungsfindung, so die Kritiker, oft von subjektiver Willkür (Eltern wünschten oft in selbst unplausibelsten Fällen eine männliche Zuweisung, nur wegen des uneindeutigen Genitals wird allerdings seit fünfzig Jahren meist weiblich zugewiesen) über medizinische Machbarkeit (John P. Gearharts zynisches: „Es ist einfacher, ein Loch zu machen als einen Pfahl zu bauen“[8]) bis zu Ehrgeiz der Mediziner („Urologen basteln gerne Jungen“). Beleg für den kulturhistorisch bedingten Einfluss bei der Geschlechtsfestlegung sei, dass männliche Zuweisungen in drei Viertel aller Fälle in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgestellt wurden.

Schweizer Entwicklung

Die Schweizer Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK-CNE) hatte sich bereits 2012 dafür ausgesprochen, die Bezeichnungen Zwitter, Intersexuelle oder ähnliches durch „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ oder „Geschlechtsvarianten“ zu ersetzen. Dieser Vorschlag erfolgte mit der Begründung der Entsexualisierung des Themas im Interesse eines ungezwungenen und normalisierten Umgangs mit Menschen, die mit Geschlechtsvarianten geboren werden.[9]

Im Jahr 2020 gab die NEK-CNE eine Stellungnahme ab zur Ethischen Erwägung zum Umgang mit dem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister, die zusammenfasst:[10]

Diskutiert werden die Möglichkeiten des Offenlassens des Geschlechtseintrags (vergleiche Dritte Geschlechtsoption im deutschen Personenstandsgesetz ab 2013), der gänzliche Verzicht auf jegliche amtliche Registrierung des Geschlechts (vergleiche Postgenderismus), die Möglichkeit eines Eintrags «X» oder ein dem in Deutschland eingeführten «divers» entsprechender. Abzusehen sei von jeglichen medizinischen Voraussetzungen zur Wahl des eigenen Geschlechtseintrags. Der Bund solle eine dritte Eintragungsmöglichkeit einführen und mittelfristig sogar den vollständigen Verzicht auf einen Geschlechtseintrag prüfen.[11] Ende 2020 entschieden der Nationalrat und der Ständerat, dass zur Änderung des Geschlechtseintrags männlich/weiblich ein Gang zum Zivilstandsamt ausreichen soll, wo die Änderung sofort eingetragen wird (75 Franken Gebühr).[10]