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In Seite Kriegsdienstverweigerung:
"Die frühe Sozialdemokratie war theoretisch entschlossen, einen Krieg der europäischen Hegemonialmächte zu verhindern oder wenigstens nicht mitzutragen. Entsprechende Beschlüsse traf die Sozialistische Internationale wiederholt, besonders in den Jahren 1907, 1912 und 1913. In der Balkankrise von 1913 rief Rosa Luxemburg auf Massenkundgebungen der SPD zu Kriegsdienstverweigerung, Befehlsverweigerung und Widerstand gegen den absehbaren europäischen Krieg auf. Sie wurde deshalb wie andere Antimilitaristen während fast der gesamten Kriegsdauer inhaftiert.
Der Erste Weltkrieg drängte auch pazifistische Gruppen noch stärker in die Defensive und verringerte ihre Mitgliedszahlen erheblich. Die wenigen Kriegsdienstverweigerer wurden in allen kriegsbeteiligten Staaten verfolgt und oft schwer bestraft.
In Großbritannien entstand seit der staatlichen Erfassung wehrfähiger Männer ab 1914 eine organisierte Verweigerungsbewegung, die politisch wirken wollte: die No-Conscription Fellowship. Ihr folgten etwa 16.000 Verweigerer, die auf Initiative englischer Quäker nach Einführung der Wehrpflicht 1916 zivile Ersatz-, Sanitäts- oder waffenlose Armeedienste verrichten durften. Dies taten etwa 10.000 Männer. Weitere 6000 verweigerten als Absolutisten auch jeden Ersatzdienst und wurden dafür von Kriegsgerichten zu meist hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Aufgrund unmenschlicher Haftbedingungen entschlossen sich 3750 von ihnen doch noch zu zivilen Ersatzdiensten; zehn der übrigen starben in Haft, 59 an Entkräftung kurz nach ihrer Entlassung.
Doch diese Bewegung erreichte, dass Kriegsdienstverweigerung aus ethischen und religiösen Gewissensgründen erstmals als individuell mögliche, nicht generell staatsfeindliche und strafbare Haltung anerkannt wurde. So führten einige europäische Staaten ab 1917 erste Ausnahmegesetze zur Wehrdienstbefreiung und Ersatzdienste für Verweigerer ein:
- die Niederlande per Armeebefehl 1917, per Gesetz 1922. Darauf beriefen sich bis 1930 jährlich nur 10–20, von 1931 bis 1939 jährlich zwischen 40 und 400 Personen.
- Dänemark 1917. Dort dauerte der Ersatzdienst bis 1933 dreimal solange wie der Wehrdienst.
- die UdSSR ab 1918
- Schweden 1920 und 1923
- Norwegen und Finnland 1922. Dort war Verweigerung seit 1931 nur noch in Friedenszeiten möglich.
In den USA wurde 1916 mit der Wehrpflicht auch ein ziviler Ersatzdienst für Angehörige von Friedenskirchen und pazifistischen Sekten angeboten. Von 2,8 Mio. eingezogenen Männern wurden 56.800 als Kriegsdienstverweigerer anerkannt, 20.800 davon zum Ersatzdienst herangezogen.[1]
In der neutralen Schweiz unterstützte die Politikerin und Antimilitaristin Elisabeth Teslin die Kriegsdienstverweigerer. Der Gesamterlös ihrer Schriften sollte Dienstverweigerer und Kämpfer gegen alle Militärarbeiten unterstützen. 1917 schrieb sie:
1921 entstand in Bilthoven die internationale Verweigererorganisation Paco, die sich 1923 in War Resisters International (WRI, deutsch Internationale der Kriegsdienstgegner) umbenannte. Bis 1939 wuchs ihre Mitgliedschaft langsam, aber stetig auf 54 Sektionen in 24 Ländern an. Diese unterstützen Verweigerer moralisch und finanziell, bekämpfen aber auch die allgemeine Wehrpflicht und streben die politische Beseitigung von Kriegsursachen an. Zur Konferenz in Lyon am 1. August 1931, dem deutschen Antikriegstag, begrüßte Albert Einstein die Delegierten der WRI aus 56 Ländern mit den Worten:
In der Zeit des Nationalsozialismus drohte deutschen Kriegsdienstverweigerern schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs die Todesstrafe, die in hunderten Fällen (vorwiegend an Zeugen Jehovas und Reformadventisten) auch vollstreckt wurde. Vor diesem Hintergrund wurde das Kriegsdienstverweigerungsrecht 1949 als Grundrecht in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. (Art. 4 Abs. 3 GG):
In der DDR gab es kein solches Recht (siehe aber Bausoldat).
Die weitere Entwicklung behandelt der Artikel Kriegsdienstverweigerung in Deutschland. Die rechtlichen Grundlagen sind im Kriegsdienstverweigerungsgesetz niedergelegt.
In manchen Staaten, die ein grundsätzliches Kriegsdienstverweigerungsrecht hatten, fehlten rechtsstaatliche Mindeststandards für dessen Wahrnehmung. Oft konnte der Kriegsdienst nach einer Einberufung nicht mehr verweigert werden; der Ersatzdienst trug oftmals auch militärischen Charakter und dauerte viel länger als der Wehrdienst, so dass er einer Strafe für die Kriegsdienstverweigerung glich.
Solche Mängel, die das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbriefte Kriegsdienstverweigerungsgrundrecht praktisch missachten, stellte ein Bericht von Amnesty International vom 15. April 1997 in 22 Staaten Europas fest. Viele dieser Staaten verhängten Haftstrafen gegen Verweigerer, darunter:
- die Balkanrepubliken
- Bulgarien: 10 Monate für einen Zeugen Jehovas 1996
- In Griechenland wurden alle Kriegsdienstverweigerer vor Gericht gestellt und jährlich bis zu 100 davon zu Haftstrafen von bis zu vier Jahren verurteilt. Einigen erkannte man ihre bürgerlichen Rechte ab und verbot ihnen bis fünf Jahre nach ihrer Entlassung, zu wählen oder sich wählen zu lassen, als Beamte zu arbeiten, Geschäfte zu eröffnen und einen Reisepass zu erhalten. Dies traf besonders 300 bis 350 unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftierte Zeugen Jehovas. Das griechische Parlament lehnte seit 1994 vier Gesetzentwürfe für einen Zivildienst ab; der fünfte wurde angenommen und sah einen doppelt so langen Ersatzdienst vor wie der Militärdienst.
- Russland: Einem Mönch wurden 1995 sieben Jahre Haft wegen Desertion angedroht, nachdem er trotz seiner vorherigen Kriegsdienstverweigerung zum Militär einberufen, dort misshandelt, von seinen Angehörigen aus dem Krankenhaus nachhause mitgenommen und erneut einberufen wurde.
- In Österreich mussten Kriegsdienstverweigerer bis 1991 vor einer Kommission eine Gewissensprüfung ablegen, wodurch festgestellt werden sollte, ob die Einwände berechtigt waren. Personen, die nicht glaubhaft machen konnten, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern zu wollen, mussten mit einer Freiheitsstrafe rechnen, wenn sie dem Einberufungsbefehl nicht nachkamen. 1997 wurde der Zivildienst von acht auf zwölf Monate verlängert und dauerte damit vier Monate länger als der Wehrdienst. Zivildienst muss innerhalb einer Frist beantragt werden. Verweigerern, die ihren Antrag zu spät stellen und den Militärdienst nicht antreten, droht Haft von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe.[3]
- Frankreich gab Verweigerern nach der Einberufung keine Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung. Der Zivildienst dauerte mit 20 Monaten doppelt so lange wie der Wehrdienst. Verweigerer, die ihren Zivildienst nicht fristgerecht beantragten, wurden nicht als Kriegsdienstverweigerer anerkannt; jedoch wurde bisher nur einer zu Gefängnis verurteilt.
- Italien und Spanien gaben einberufenen Wehrpflichtigen keine Kriegsdienstverweigerungsmöglichkeit mehr.
- Portugal bearbeitete Kriegsdienstverweigerungsanträge von bereits Wehrdienstleistenden erst nach dem Ende ihrer Militärzeit und erlaubte ihnen kein vorzeitiges Ausscheiden daraus. Der Ersatzdienst dauerte dort mit sieben Monaten fast doppelt so lange wie der Wehrdienst.
In den meisten dieser Staaten kann die Weigerung eines Einberufenen, eine Uniform anzuziehen, zu mehrjährigen Gefängnisstrafen führen. Dies betraf in Frankreich bis 1995 bis zu 500 Zeugen Jehovas pro Jahr, die sich ordnungsgemäß in der Kaserne gemeldet hatten, dann aber das Tragen von Uniform und Waffen aus religiösen Gründen ablehnten. Auch Ersatzdienstleistende, die ihren Dienst aus Protest gegen die Dauer vorzeitig beenden, werden als Deserteure behandelt und mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.[4]
In Italien gibt es inzwischen keine Wehrpflicht mehr; eine Änderung der Verfassung, die diesen als „heilige Pflicht“ bezeichnet, wurde nicht vorgenommen, aber der letzte (zum Teil) einberufene Jahrgang war derjenige der 1985 Geborenen.
In Frankreich und Spanien besteht heute ebenfalls keine Wehrpflicht mehr.[5]
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