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In Seite Wirtschaftssoziologie:
"Seit den 1980er Jahren entwickelte sich die neuere Wirtschaftssoziologie mit selektiver Anknüpfung an klassische Texte von zumal (nur) noch Marx und Weber mit dem Ziel, wirtschaftliches Handeln nicht der Wirtschaftstheorie zu überlassen, sondern (wieder) in den weiteren Kontext des sozialen Handelns zu stellen und den Markt als sozialen Ort bzw. als eine von vielen gesellschaftlichen Institutionen zu begreifen. Dabei lässt sich die Kritik der Wirtschaftssoziologie auf drei zentrale Kritikpunkte an der Wirtschaftstheorie bringen, die
- die Handlungslogik wirtschaftlicher Akteure wie Unternehmen oder Organisationen betreffen (vgl. Homo oeconomicus), aber
- die Ordnung des Marktes selbst oder
- den Austausch zwischen marktlichen und staatlichen Akteuren.
Die Neue Wirtschaftssoziologie löst die neoklassische Sichtweise ab, die Märkte als „perfekte Märkte“ mit vollkommener Konkurrenz und Information beschreibt, und das Zustandekommen des Preises als ein Resultat von Angebot und Nachfrage betrachtet. Doch dem Problem der Preisbildung im Markt schenkt die Wirtschaftssoziologie seit jeher wenig Aufmerksamkeit. Laut Weber entstehen Preise durch Kampf und Kompromisse. Dieser Idee schließen sich auch Granovetter und Yakubovich (2001) an. In ihrer Studie untersuchen sie die Preisbildung in der Amerikanischen Energieversorgungsindustrie des 19. Jahrhunderts. Sie bestätigen mit der Studie Webers These, dass der Preis das Ergebnis von Machtkonstellationen sei.
Ökonomische Forschung ist bisher vornehmlich am Preisbildungsprozess interessiert gewesen, Soziologische Forschung jedoch konzentriert sich mehr auf den Markt als Institution. Markt soll dann heißen ein Ort, an dem Interessen aufeinandertreffen. Der durch den Zweiten Weltkrieg entstandene „Bruch mit der Moderne“[1] und die anschließenden Jahre des Aufbaus und Aufschwungs hinterlassen eine fast 50 Jahre andauernde Lücke in intensiver wirtschaftssoziologischer Forschung. Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts dann kommt der Aufbruch der Neuen Wirtschaftssoziologie. Durch die kritische Abgrenzung zur klassischen und neoklassischen ökonomischen Wirtschaftstheorie, die einen perfekten Zustand des Marktes voraussetzt (vollständige Konkurrenz / Information), in dem rationales und von Eigennutz geprägtes Verhalten nur geringfügig von sozialen Beziehungen beeinflusst wird, entsteht die strukturale Soziologie mit einer eigenständigen soziologischen Theorie des Marktes. Die Erklärung hinsichtlich der Funktion von Märkten mit dem neoklassischen Marktgleichgewicht der klassischen Ökonomie werden unter anderem von Harrison C. White als unzureichend angesehen. In den Vordergrund seiner Forschung rückt die Untersuchung von Märkten hinsichtlich der Struktur sozialer Beziehungen der Marktakteure zueinander. White differenziert zwei Arten von Märkten, solche, auf denen Akteure die Rollen tauschen (switch role markets), und solche, auf denen die Akteure feste Rollen innehaben (fixed role markets). Letztere Marktform ist laut White in der Ökonomie dominant. Die Marktidentität ist an eine Seite des Marktes gebunden. Der Akteur ist entweder Käufer oder Verkäufer. Somit begründet sich seit Mitte der 1980er Jahre die Neue Wirtschaftssoziologie, die sich insbesondere in der US-amerikanischen Soziologie eine neue Nische schafft. Durch die kritische Abgrenzung zur neoklassischen ökonomischen Theorie etabliert sich innerhalb soziologischer Forschung der auf der Netzwerktheorie beruhende Einbettungsansatz. Der Anspruch dieses Ansatzes lautet, die positive Wirkung sozialer Beziehungen auf wirtschaftliches Handeln auszuarbeiten. Damit löst die neue wirtschaftssoziologische Forschung die seither dominierende neoklassische Argumentationslogik ab und etabliert an dieser Stelle die Vorstellung der strukturalen Soziologie, die mit dem Netzwerkansatz eine analytische Methode zur Untersuchung der Beziehungen zwischen und innerhalb von Akteuren bietet.
Harrison C. White vertritt in seinen Studien die Netzwerktheorie, die davon ausgeht, dass soziale Strukturen, in die Akteure eingebettet sind, signifikante Auswirkungen auf ökonomisches soziales Handeln haben. Er stellt vertrauensbildenden Effekte in den Vordergrund. Als strukturaler Soziologe entwickelt White einen neuen Theorieansatz, der auf der Vorstellung beruht, dass soziale Beziehungen von Menschen und Positionen entscheidend für soziale Prozesse sind. White bricht mit der Ökonomie da diese kein Interesse an konkreten Märkten habe und sich hauptsächlich mit Devisenmärkten im Gegensatz zu Produzentenmärkten beschäftige. Dennoch scheint White beeinflusst durch ökonomische Arbeiten, denn er bezieht sich auf Marshall und verwendet die Signaltheorie. Der Schlüssel zur Theorie des Marktes ist, dass Märkte aus sozialen Beziehungen bestehen, d. h. Märkte reproduzieren sich und stellen sich durch Signale zwischen den Beteiligten her. Produzenten beobachten Produzenten und stellen ihr Handeln reziprok aufeinander ein.
White beschränkt sich in seinem Artikel „Where do Markets come from“ auf die Analyse von Produzentenmärkten (fixed role markets), da er diese als typisch betrachtet und diese in der ökonomischen Industrie typisch seien. In seiner Studie, in der White 12 Unternehmen analysiert kommt er zum Ergebnis, dass sich Märkte nicht durch die Abstimmung von Angebot und Nachfrage strukturieren und stabilisieren, sondern durch die reziproke Beobachtung aller Marktteilnehmer, insbesondere der Produzenten. Sein Modell: W (y) geht von einem Marktplan als zentralem Marktmechanismus aus, der als Erlös (Menge) operationalisiert ist. Dieses Modell, so White, sei realistischer als die Nachfrage-Angebots-Kurve von Marshall (1890). Das Verhalten der Unternehmen im Markt beobachtet White wie folgt: Unternehmer wissen, wie viel die Produktion kostet und maximieren ihr Einkommen durch das Festlegen einer Produktionsmenge. Sie wissen nicht, wie die Konsumenten das Produkt beurteilen werden, sondern nur, welches Produkt sie zu welchem Preis anbieten können. Wenn die Unternehmen nun recht behalten, ist es möglich, eine Nische für ein Produkt im Markt aufzutun, die Konsumenten dann anerkennen, indem sie bestimmte Mengen zu bestimmten Preisen kaufen. Je nach Struktur ergeben sich 4 Markttypen, paradox, zäh, überfüllt, explosiv. Der Anspruch des auf den Netzwerkansatz beruhenden Einbettungskonzepts (social embeddedness) lautet, die positive Wirkung sozialer Beziehungen auf wirtschaftliches Handeln herauszuarbeiten. Das soziale Gefüge, in das Akteure eingebettet sind, hat einen starken Einfluss auf ökonomisches Handeln und wirkt sich dadurch auch auf ökonomischen Erfolg aus. Auch Mark Granovetter, ein Schüler Whites, widerlegt die Annahme der klassischen Ökonomie, dass Akteure Entscheidungen unabhängig voneinander treffen. Er nennt dies den „atomisierten Entscheider“. Granovetter postuliert, wirtschaftliches Handeln sei eingebettet in soziale, konkrete und fortdauernde Beziehungsstrukturen. Netzwerke sozialer Beziehungen durchdringen alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens.
Mit dem bahnbrechenden Artikel „Economic Action and Social Structure. The Problem of Embeddedness“ von Mark Granovetter beginnt jedoch in den 1980er Jahren vor allem in den USA, in den 90er Jahren auch in Deutschland eine intensive Debatte darüber, die Kernprobleme des Wirtschaftens wieder aus der soziologischen Perspektive heraus zu analysieren. Granovetter liefert mit seinem Einbettungskonzept, dass sich auf den Netzwerkansatz stützt, einen wichtigen Beitrag der neuen Wirtschaftssoziologie. Granovetter unterscheidet zwischen unmittelbaren und entfernten Beziehungen. Unmittelbare Beziehungen seien relational und entfernt und dadurch struktural eingebettet. Eine andere Studie Granovetters „Getting a Job: A Study of Contacts and Carreers“ (1974) untersucht, welche sozialen Beziehungen dazu führen, an einen neuen Arbeitsplatz zu gelangen. Das Resultat, international anerkannt und repliziert: „The strength of the weak ties“. Nicht die relationalen Einbettungen verhelfen zu einem neuen Job, sondern die entfernten, strukturalen Beziehungen.
Brian Uzzi führt Granovetters Konzept der Einbettung weiter. Er befindet, dass Unternehmen dazu tendieren, Marktinteraktionen in Marktbeziehungen und enge/spezifische Beziehungen zu unterteilen. Dabei sind Marktbeziehungen weiter verbreitet und weniger wichtig, wobei engere / spezifische Beziehungen wichtig für Vertrauen, Informationsaustausch und Problemlösungsprozesse sind. Für eine erfolgreiche Geschäftsführung lohne es sich nicht, sich auf Marktbeziehungen allein zu verlassen, jedoch auch nicht ausschließlich der Verlass auf enge / spezifische Beziehungen sei ausreichend. Eine Mischung aus Marktbeziehungen und engen / spezifischen Beziehungen, also ein Gleichgewicht konstituiere erst ein integriertes Netzwerk. Zu viele Marktbeziehungen konstituieren ein untereingebettetes Netzwerk, zu viele spezifische/enge Beziehungen konstituieren ein übereingebettetes Netzwerk.
Auch Wayne E. Baker kritisiert die klassische Ökonomie und nennt die Markttheorie eher implizit als explizit. Märkte seien in der Realität nicht homogen, sondern sozial konstruiert. Auch Baker beschreibt Märkte als Netzwerke. In seiner Studie untersucht er einen Wertpapiermarkt und stößt dabei auf zwei unterschiedliche Marktnetzwerke: ein kleines, eher dichteres Netzwerk (xyz) und ein größeres, eher differenzierteres Netzwerk (ABC). Bakers Hauptaugenmerk richtet sich auf die Volatilität von Optionspreisen. Er kommt zum Ergebnis, dass ein größeres Netzwerk mehr Volatilität verursacht als ein kleineres.
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