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In Seite Mishima Yukio:

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Nach Japans Niederlage im Zweiten Weltkrieg wurde das Land durch die Alliierten, allen voran den USA, besetzt. Auf Befehl der Besatzungsmächte wurden viele zuvor wichtige Posten geräumt. Die Medien wurden zensiert, denen auferlegt wurde, keine Staatspropaganda oder sonstige Formen nationalistischer Ideen unters Volk zu bringen. Im sogenannten katanagari wurden bis zu 3 Millionen traditionelle Kampfschwerter der japanischen Zivilbevölkerung konfisziert, die traditionelle Kampfsportart Kendō wurde hoheitlich verboten und selbst bei der noch erlaubten Kampfvariante mit Bambusschwertern war der Kendō-Ruf untersagt.[1] Kabuki-Aufführungen waren nur unter der strengen Auflage erlaubt, weder die Samurai noch das Motiv der Rache zu thematisieren.[2] Zudem wurden viele lokal bekannte Literaten, einige davon Freunde Mishimas, als „Kriegspropagandisten“ gebrandmarkt. All diese Ereignisse führten zu einem großen gesellschaftlichen Umschwung in der japanischen Bevölkerung. Viele zuvor patriotisch eingestellte Autoren denunzierten besagte „Kriegspropagandisten“, traten der Kommunistischen Partei Japans bei und beteiligten sich am Sozialistischen Realismus. Der Einfluss neulinker Ideen auf die japanische Literatur stieg zunehmend an, ganz zum Missfallen Mishimas, der den konvertierten Autoren „Opportunismus“ vorwarf.[3][4][5] Obwohl Mishima erst 20 Jahre alt war, befürchtete er bereits jetzt, dass seine Nische japanischer Schriftkunst, basierend auf der Japanisch Romantischen Schule der 1930er Jahre, bald gänzlich obsolet werden würde.[6]

Im selben Zeitraum erfuhr Mishima von einem Bekannten, dass der bekannte japanische Romancier Yasunari Kawabata seine Werke gelesen und weiterempfohlen hatte. Unwissend, an wen er sich für Kritik sonst wenden könnte, besuchte er Kawabata im Januar 1946 in Kamakura mit den Manuskripten seiner Kurzgeschichten Das Mittelalter und Die Zigarette (煙草).[6] Kawabata zeigte sich erneut beeindruckt, sodass auf seine Empfehlung hin Die Zigarette im Juni 1946 im Literaturmagazin Ningen publiziert wurde. Das Mittelalter folgte ein wenig später, im Dezember 1946.[7]

Die Kurzgeschichte ist im Japan der Muromachi-Zeit angesiedelt und befasst sich mit dem Konzept Wakashudō (若衆道, erotisches Lehrer-Schüler-Verhältnis als zentraler Bestandteil der Samurai-Ausbildung). Die Erzählung behandelt die tatsächlich stattgefundene Geschichte des frühen Todes des neunten Shōguns Yoshihisa Ashikaga und der daraus resultierenden Trauer seines Vaters, des achten Shōguns Yoshimasa Ashikaga. Protagonist ist die fiktionale Figur Kikuwaka, ein wunderschöner jugendlicher Junge, geliebt von Yoshihisa und Yoshimasa, der Yoshihisa durch Suizid in den Tod folgen möchte, dabei aber scheitert. Geläutert durch seine Nahtoderfahrung, beteiligt er sich an spiritualistischen Praktiken und versucht Yoshimasas Trauer über seinen Sohn zu lindern, indem er dessen Geist in Yoshimasas Körper weiterleben lässt. Sein Vorhaben scheitert letztlich und er stirbt am Ende durch Shinjū (romantischer Doppelsuizid) mit einer Schrein-Priesterin, die sich in ihn verliebt. Mishima verfasste den Text in einem bis dato ungewöhnlichen Stil, indem er sich nicht nur mittelalterlicher japanischer Literatureinflüsse, sondern auch Ryōjin hishōs, einer altertümlichen Sammlung mittelalterlicher imayō-Liedern, bediente.[8] Kawabata lobte auch diese Geschichte und fühlte sich durch sie ermutigt, 1948 in einem Essay über seine eigenen homosexuellen Gefühle zu einem wesentlich jüngeren Jungen zu beichten.[9]

Ende 1946 begann Mishima die Arbeiten am Roman Diebe, einer Geschichte über zwei Aristokraten, die eine Faszination für Suizid entwickeln. Sie wurde 1948 erstveröffentlicht, womit Mishima offiziell in die Reihen der Zweiten Generation der Nachkriegsdichter gezählt wird. Der erste große Erfolg folgte aber erst im Jahr darauf durch die Veröffentlichung seines zweiten Romans Bekenntnisse einer Maske, einer halbautobiografischen Geschichte über einen Jungen, der seine Homosexualität entdeckt und geheim hält, um sich in die gesellschaftlichen Konventionen zu integrieren. Der Roman war international sehr erfolgreich und machte Mishima im jungen Alter von 24 Jahren berühmt. Als Reaktion erfolgte eine Reihe von Essays im Magazin Kindai Bungaku, adressiert als Danksagung an seinen Mentor Yasunari Kawabata.[10] Seine Erfolgssträhne konnte Mishima mit den nachfolgenden Romanen Liebesdurst (1950) und Verbotene Farben (1951–1953) halten.

Durch seine steigende Popularität war Mishima ab 1950 häufig auf Reisen und lernte fremde Kulturen kennen, die er ab Anfang der fünfziger Jahre in seine Arbeit einfließen ließ. Die Reisen dokumentierte er in Der Becher des Apollo. 1952 wohnte er einige Monate in Griechenland, einem Reiseziel, das ihn seit seiner Kindheit faszinierte, und setzte sich akribisch mit der griechischen Mythologie auseinander. Sein Roman Der Klang der Wellen behandelt einige Erlebnisse der Reise und wurde maßgeblich durch den spätantiken Roman Daphnis und Chloe inspiriert. Die Erzählung spielt auf der kleinen wertkonservativen Insel Kamishima, auf der sich ein Fischer und eine leicht exzentrische Muscheltaucherin verlieben. Obwohl das Buch ein Bestseller und kritischer Erfolg wurde, fing es sich von politischen Linken dafür Kritik ein, „ewiggestrige, konservative, japanische Werte zu glorifizieren“. Vereinzelte Kritiker beschimpften Mishima gar als „Faschisten“.[11][12] Einige Jahre später äußerte sich Mishima in seiner Biografie über die damaligen Gegenreaktionen folgendermaßen:

Ab Mitte der fünfziger Jahre behandelte Mishima immer mehr zeitgenössische Ereignisse in seinen Werken. Der Tempelbrand, veröffentlicht 1956, ist eine Fiktionalisierung der Ereignisse und inneren Gedanken eines Mönches, der eine Obsession für eine goldene Halle im Tempelbezirk entwickelt und sie schließlich niederbrennt. Der Roman beruht auf einer tatsächlichen Begebenheit: Am 2. Juli 1950 wurde der Goldene Pavillon des Rehgarten-Tempels in Kyōto durch die Brandstiftung eines Mönches zerstört. Zur Recherche hatte Mishima den Täter im Gefängnis besucht.[14]

Anfang 1959 publizierte Mishima seinen künstlerisch anspruchsvollen Roman Kyōkos Haus. Er ist gegliedert in vier später zusammenführende Handlungsstränge um vier junge Männer, die alle einen Teil von Mishimas Persönlichkeit darstellen. Seine athletische Seite erscheint als Boxer, seine künstlerische als Maler, seine narzisstisch-performative als Schauspieler und seine verschlossene, nihilistische Seite als Geschäftsmann. Mishima versuchte nach eigenen Aussagen, den Zeitraum um 1955 einzufangen, als Japan einen unerwarteten wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnete und die Phrase „Die Nachkriegszeit ist vorbei!“ (jp. „Mohaya sengo de wa nai“) von lokalen Medien popularisiert wurde.[15] Mishima beschrieb Kyōkos Haus als Introspektion, um seine eigenen Werte zu hinterfragen, auszubessern und in einem final Schritt Selbsterkenntnis zu erlangen.[16][17] Obgleich ein kommerzieller Erfolg, wurde der Roman von Literaturkritikern als zu experimentell und egozentrisch verrissen.[17]Kyōkos Haus galt damit allgemeinhin als Mishimas erstes „gescheitertes Werk“ und hinterließ bei seinem Autor als solches einen psychischen Nachklang.[18][19]

Obwohl Mishimas Bücher bereits zum Anfang seiner Karriere tabuisierte Themen karikierten, wurden sie bis dahin nicht wirklich als politisch wahrgenommen.[20] Dies änderte sich ab den 1960ern. Im Sommer 1960 entwickelte Mishima ein Interesse an den Großdemonstrationen und Studentenprotesten gegen den kontroversen Ampo-Vertrag (ein Kooperationsvertrag mit den USA, der unter anderem die Stationierung US-amerikanischer Streitkräfte in Japan verlängerte und Japan verpflichtet, die USA im Kriegsfall militärisch zu unterstützen).[21] Auch wenn er sich nicht unmittelbar selbst an den Protesten beteiligte, observierte er das Verhalten der Demonstranten auf den Straßen und sammelte Zeitungsausschnitte, in denen das Geschehen kommentiert wurde.[20] Im Juni 1960, auf dem Höhepunkt der Proteste, verfasste Mishima einen Kommentar für die liberale japanische Tageszeitung Mainichi Shimbun unter dem Titel Eine politische Ansicht.[22] Zentrale These des kritischen Essays ist, dass linksradikale Gruppierungen wie die Zengakuren und linke Parteivertreter aus der Sozialistischen Partei Japans und Kommunistischen Partei Japans den Vorwand, „die Demokratie Japans zu retten“, dazu nutzen, durch die gewalttätigen Proteste heimlich ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Mishima warnte vor der Gefahr für japanische Bürger, welche Ideologen folgen, die ihnen populistische Lügen im Gewand angeblicher sozialer Gerechtigkeit andrehen. Wenngleich er den zuständigen Premierminister Kishi Nobusuke selbst als „wertfremden Nihilisten“ und „den USA untergeben“ schmähte, würde er eher einen „eigensinnigen Realist, mit weder Wünschen noch Hoffnungslosigkeit“ wählen, als einen „verlogenen, aber eloquenten Ideologen“.[23]

Kurz nachdem die Großdemonstrationen ihr Ende genommen hatten, schrieb Mishima an seiner bekanntesten Kurzgeschichte: Patriotismus. In diesem schildert und glorifiziert er die Aktionen eines jungen, nationalistischen Offiziers, der sich nach dem gescheiterten Putschversuch in Japan vom 26. Februar 1936 selbst tötet.[22] Die Kurzgeschichte wurde 1966 unter demselben Namen verfilmt. Im Folgejahr wurde sein Theaterstück Zehntageschrysanthemen, ebenfalls eine Lobpreisung des Putschversuches, uraufgeführt.[22]

Mishimas neugefundenes Interesse an zeitgenössischer Politik bildete auch den Rahmen für seinen erfolgreichen Roman Nach dem Bankett, veröffentlicht 1960. Er behandelt eine Affäre zwischen einem Reformpolitiker und der Besitzerin eines Nachtclubs in Ginza und weist viele Parallelen zum Ehebruch des japanischen Diplomaten Arita Hachirō auf. Dieser verklagte Mishima daraufhin wegen Verstoßes gegen sein Recht auf Privatsphäre und bekam nach drei Jahren Rechtsstreit 800.000 Yen als Entschädigung zugesprochen (S. „Nach dem Bankett“-Verfahren).[24] Zwischen dem 12. Juni und 4. September 1961 schrieb Mishima Das Spiel des Biestes, eine Parodie des klassischen Noh-Schauspiels Motomezuka. Im Oktober 1962 veröffentlichte er mit Ein bezaubernder Stern sein wohl bizarrstes Werk, das sich etlicher Genres, allen voran Science-Fiction, bedient. Der renommierte japanische Literaturkritiker Takeo Okuno listete den Roman als Beispiel für eine neue „Ära von Romanen“, die die „längst überfälligen literarischen Konventionen“ umstürzen würden. In seiner Jahresendliste erwähnte er den Roman, zusammen mit Kōbō Abes Thriller Die Frau in Dünen, als Produkt „bahnbrechender Kunst“:

1965 schrieb Mishima das Theaterstück Madame de Sade, in welchem die historische Figur Marquis de Sade durch eine Debatte von sechs weiblichen Figuren, darunter der titelgebenden Madame de Sade, analysiert und erklärt wird. Am Ende des Stücks präsentiert Mishima seine eigene Interpretation von dem seiner Meinung nach größten Mysterium der Geschichte: Wieso Madame de Sade ihren Ehemann während seiner Zeit im Gefängnis unermüdlich unterstützte, um ihm letzten Endes bei seiner Freilassung plötzlich abzuschwören.[26] Für das Theaterstück ließ sich Mishima teilweise durch seinen engen Freund Tatsuhiko Shibusawa inspirieren, der 1960 Marquis de Sade's Roman Juliette ins Japanische übersetzte und 1964 eine Biografie über diesen schrieb.[27] Shibusawas sexuell explizite Übersetzung wurde der Fokus eines medial vielbeachteten Gerichtsverfahrens, bekannt als Sade-Fall (jap. Sado saiban), der 1969 von dem Obersten Gerichtshof Japans zuungunsten Shibusawas entschieden wurde (Strafzahlung in Höhe von 70000 Yen wegen öffentlicher Obszönität).[28] Mishima war bei einigen der Gerichtssitzungen anwesend und ließ die Geschehnisse in das Theaterstück mit einfließen. Das Theatermagazin Theater Arts bezeichnete Madame de Sade 1994 als „das beste Drama in der Geschichte des Nachkriegstheaters“.[29]

Sein letztes vollendetes Werk war der vierteilige Romanzyklus Das Meer der Fruchtbarkeit; es ist Mishimas Antwort auf die zunehmenden Einflüsse westlicher Werte auf die japanische Kultur und behandelt zentrale Themen wie die Lehre des Speicherbewusstseins, den Pantheismus und die Beziehungen zwischen Jugend, Schönheit, Vernunft und Erkenntnis.[30] Die daraus resultierende Philosophie wurde nachträglich „kosmischer Nihilismus“ getauft und bildet die Grundlage für Mishimas Weltanschauung und politischen Aktivismus, den er parallel praktizierte. Der letzte Band der Tetralogie, Die Todesmale des Engels, wurde 1971 post mortem veröffentlicht, nachdem das Manuskript in seiner Wohnung aufgefunden worden war. Mishimas wählte für sein Opus magnum eine andere raison d’etre als konventionelle westliche Romanreihen des 19ten und 20ten Jahrhunderts: Anstatt die Geschichte eines Individuums oder einer Familie zu erzählen, sollte die Reihe als seine Interpretation der gesamten menschlichen Zivilisation Bestand haben.[31] Der Schriftsteller Paul Theroux bezeichnete das Machwerk als „die vollständigste Darstellung von Japan des 20ten Jahrhunderts“. Der Kritiker Charles Solomon schloss sich dem an und schrieb 1990:

Mishima wurde fünfmal, in den Jahren 1963, 1964, 1965, 1967 und 1968, für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen,[33] gewann ihn aber trotz Favoritenrolle nicht.[34] Mishima selbst äußerte keine Verwunderung darüber und referierte auf seinen Mentor Kawabata Yasunari, der als japanischer Autor den Preis erhielt. Demnach gering schätzte er seine Chancen für die Zukunft.[35] Weshalb der Preis zurückgezogen wurde, obwohl Mishima bei Fachzeitschriften und in unabhängigen Ranglisten jedes Mal als Favorit gehandhabt wurde, war lange umstritten. Donald Keene, Literaturkritiker und Professor für Japanische Literatur, offenbarte später, dass die Jury in der Hochphase des Kalten Krieges nicht einen „rechtsgerichteten Aktivisten“ prämieren wollte.

Zudem habe Mishima auf Drängen seines langjährigen Mentors Yasunari Kawabata das Komitee 1968 um die Auszeichnung Kawabatas anstelle seiner gebeten. Weder Mishima noch Kawabata äußerten sich zu den Vorwürfen.